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Die Grundlagen unserer Arbeit.
Auszüge aus dem Arbeitsprogramm des CIEETS für 1987 und 1988.
Die Mission der Kirche.
Der Bezugsraum für die Mission ist das Reich Gottes. Teilnehmen an der Mission Gottes bedeutet, die Gute Nachricht dem Volke anzukündigen. Diese Verkündigung ist weder begrenzt auf den verbalen, dogmatischen oder homiletischen Ausdruck, noch ist sie reines Glaubensbekenntnis. Diese Verkündigung ist geschichtlich, kontextual, prophetisch, apostolisch und gesellschaftsverändernd. Das Reich Gottes ist Gute Nachricht für die Kirche und für die Welt. Das Reich Gottes ist eine radikale Herausforderung,. eine Forderung nach einer neuen Ordnung des Lebens, die eine tiefgreifende Veränderung hin zur sozialen Gleichheit notwendig macht. Wir wissen, daß es keine Versöhnung gibt ohne Umkehr, daß es keine Auferstehung gibt ohne das Kreuz, kein neues Leben ohne von neuem geboren zu werden. Jesus beginnt die Verkündigung des Evangeliums, indem er das Reich Gottes ankündigt und zur Buße und zum Glauben aufruft (Markus 1,15). Dies beinhaltet eine Veränderung unserer Wertvorstellungen, ein Transformationsprozeß (Methanoia) und eine neue Beziehung zu Gott und zum Nächsten. Das Evangelium fordert von uns, daß wir uns von einer individualistischen Haltung weg und hin zu einer kommunitären Haltung bewegen, von einer Ordnung der Herrschaft und Unterdrückung hin zu einer neuen Ordnung der Freiheit und Gleichheit, von der Subsistenz zur würdigen Existenz, vom Tod hin zum Leben (Lukas 18-19). Die Forderungen des Reiches Gottes sind nicht allein kirchlichen Charakters. Es sind ethische, soziale, wirtschaftliche und politische Forderungen.
Die evangelische Kirche Nicaraguas braucht ein größeres Verständnis und eine intensivere Praxis, um die Prioritäten ihrer Mission heute und in den 90er Jahren zu entdecken und zu konkretisieren, inmitten des Leides des Volkes, inmitten der ernsten materiellen Einschränkungen, inmitten der Armut, inmitten der permanenten globalen Aggression, der Vernichtung von Menschen und der wirtschaftlichen Zerstörung, welche die Regierung der Vereinigten Staaten verursacht. Der Schrei der Völker der Welt ist für ein Leben in Frieden, auf daß alle Drohung des Todes und der Versklavung enden. Schluß mit dem Krieg und der Intervention, weg mit allem was die Entwicklung der nicaraguanischen Nation behindert. Im Angesicht der Krise, die Zentralamerika und unser eigenes Volk lebt, behaupten wir das Leben, denunzieren wir die Gewalt, die aus den Strukturen der Sünde erwächst, aus der hegemonistischen weltweiten Macht. Das Leben zu behaupten und die strukturelle Gewalt zu denunzieren, ist eine unserer missiologischen Prioritäten. Das Recht des Armen, des Volkes und aller Menschen auf Leben muß verteidigt werden, daher auch die Suche nach friedlichen Lösungen für die regionalen Konflikte, Lösungen für die menschliche Entwicklung, die Freiheit und den Frieden. Die evangelische Kirche muß, angesichts der Herausforderungen, die ihr aus ihrem Auftrag heraus und aus der nationalen Gemeinschaft erwachsen, ihren Beitrag in allen Dimensionen des menschlichen Lebens und in Treue zu dem Evangelium geben.
Perspektiven und Dimensionen der theologischen Erziehung.
Die evangelische Kirche in Nicaragua sieht bislang ihre theologische Reflexion nicht als definitiv sondern als provisorisch an. Die gegenwärtige revolutionäre Dekade in Nicaragua ist gekennzeichnet durch die Transformation, durch den Übergang auf eine neues Gesellschaftsmodell hin, durch den Kampf und die Opfer, an denen auch wir beteiligt sind. In diesem Kontext denken wir über unseren Glauben nach. Dieses Nachdenken ist eng verknüpft mit der kirchlichen und nationalen Entwicklung, mit den Möglichkeiten, der Krise und den Widersprüchen des gesellschaftlichen Prozesses. Die theologische Aufgabe betrifft das Tun der Kirche innerhalb der Kirche und für das Volk. Es ist eine theoretische und praktische Aufgabe, die im historischen Kontext angesiedelt ist.
Die Theologie ist eine Aufgabe, die versucht, die Praxis der Mission in der nicaraguanischen Gesellschaft im Übergang hin auf ein eigenständiges Modell des Sozialismus, neu zu definieren und zu interpretieren. Wir meinen, daß der Beitrag der Theologie im Aufbau eines neuen Staates und einer eigenen Kultur notwendig und komplementär zur Entwicklung des sozialen Prozesses ist. Eine Hauptaufgabe der Theologie ist der Aufbau einer neuen Eklesiologie, einer neuen Form Kirche zu sein. Die Herausforderung besteht darin, daß diese theologische Aufgabe sich im geschichtlichen Werden und in der sozialen Transformation unserer Gesellschaft und der lateinamerikanischen Gesellschaft vollziehen muß.
Der christliche Glaube erfordert eine geschichtliche Rationalität der Hoffnung und eine effiziente Praxis der Liebe. Wir sehen nun, daß eine konkrete Form dieser dringenden Forderungen darin besteht, eine radikale Verpflichtung vom Evangelium her mit dem Volk einzugehen und eine theologische, evangelische, biblische, ökumenische, exegetische und lateinamerikanische Erziehung zu entwickeln. Die theologische Erziehung muß sich von der Vision des Reiches Gottes inspirieren lassen, eines Reiches der Gerechtigkeit und des Friedens, der Gleichheit und der Würde, der Freiheit, der Wahrheit und dem Wohlergehen aller. Dies impliziert bereits die Art und Weise, wie auch wir in Nicaragua, in unserem theologischen Ausbildungsprogramm lernen und lehren. Wir haben verstanden, daß es notwendig ist, die Studienpläne auf den Aufbau von Gemeinschaften der theologischen Erziehung hin zu orientieren, lebendige Gemeinschaften, die sich mit dem Kampf um Gerechtigkeit, mit einer erneuerten Kirche, mit einer neuen sozialen Ordnung identifizieren.
Die theologische Erziehung soll der Kirche helfen, ihre Mission in ihrem eigenen Kontext zu verstehen. Niemand darf in den theologischen Ausbildungsprogrammen diskriminiert oder marginalisiert werden, auf Grund von theologischen oder politischen Positionen, noch auf Grund von Traditionen, Geschlecht, Rasse oder Kultur. Wir haben bereits auf die soziale Pluralität hingewiesen, die auch in der Kirche existiert. Die Mission ist abhängig von der demokratischen, kreativen und kritischen Partizipation aller Sektoren der Kirche. Es ist sehr wichtig, zu unterstreichen, daß die theologische Erziehung den nicaraguanischen Kontext, in dem sie eingebettet ist, in Rechnung stellen muß: Der Kampf für ein würdiges und freies Leben, der Tod und das Leiden des Volkes, die wirtschaftliche Zerstörung durch den Pentagon, die materielle Armut, die politische und kulturelle Pluralität, die dringende Notwendigkeit des sozialen Friedens, die nationale Einheit, die Entwicklung einer Volksreligiosität (katholisch und evangelisch), der Übergang hin auf ein Gesellschaftsmodell des Überlebens sind wesentliche Aspekte, die mit der Misssion der Kirche und mit der theologischen Erziehung heute verbunden sind.
Die Dringlichkeit des Friedens.
Heutzutage fordern alle Nationen den Frieden. Nicaragua braucht und will den Frieden. Der Krieg ist kein menschlicher und kein zivilisierter Weg, um politische Konflikte zu lösen. Die Anstrengung, die das Volk und die Regierung von Nicaragua hin auf eine friedliche Lösung unternommen haben sind sehr bedeutsam, müssen weitergehen und müssen unterstützt werden, ebenso wie die multilateralen Initiativen. Der Frieden ist für uns fundamental, weil das Leiden, der Tod und die materielle Zerstörung für uns vernichtend wirkt. Dies darf nicht weitergehen. Die Kirche ist dabei ihren Teil zu tun. Und es müssen weitere Alternativen gesucht werden, um auf wirksame Art und Weise dieses für alle anderen Dinge grundlegende Vorhaben zu unterstützen. Im Alten Testament bezeichnet das Wort "Shalom" einen inklusiven Begriff. Es bedeutet "ganzheitliches Wohlbefinden", "Glück", "Freiheit", "Gesundheit", "Gemeinschaft", "Freundschaft", "menschliche Würde", "Sieg". Diese Bedeutungen sind jeweils bezogen auf spezifische Zustandsformen der Person und des Volkes. Jesus nennt die Friedensstifter Gesegnete und Kinder Gottes (Matthäus 5,9). Er gab das Gebot an seine Jünger, alle zu lieben, sogar die eigenen Feinde (Matthäus 5,43).
Das Reich Gottes bringt in unseren Gesellschaften Kämpfe hervor, weil sich die alte herrschende Ordnung der Gerechtigkeit und der menschlichen Gleichheit widersetzt. Der Frieden ist essentiell für ein Leben in Fülle aller Völker, Rassen und Religionen. Deshalb ist der Kampf um den Frieden eine gemeinsame Aufgabe aller Menschen, seien sie Gläubige oder nicht. Dies bedeutet, daß der Kampf um den Frieden nicht das Monopol irgendeiner Bewegung oder irgendeiner Nation ist, wie auch niemand aus diesem Kampf ausgeschloßen werden darf.
Frieden ist nicht nur Abwesenheit von Gewalt, sondern beinhaltet soziale Sicherheit, wirtschaftliche Sicherheit, physische Unversehrtheit, spirituelle Gewiheit und Schutz der Natur. Der Frieden darf nicht getrennt werden von den sozialen, wirtschaftlichen und politischen Problemen. Der Frieden kann nicht nur in einigen Teilen der Welt existieren. Das Neue Testament sagt uns, daß es nur eine Menschheit gibt, daß es nur eine Welt gibt. In diesem Sinne und in diesem Geiste fordern wir den Frieden und fordern wir die Sicherheit für das Volk Nicaraguas und für die Völker der ganzen Welt gegenüber der Herrschaft und der wirtschaftlichen, technologischen, militärischen und diplomatischen Aggression der Regierung der Vereinigten Staaten. Wir bleiben uns dabei unserer eigenen strukturellen Sünden und unserer Verirrungen bewußt. Aufgrund dieses unmoralischen und illegalen Krieges, der sofort und defintiv beendet werden muß, hat das Volk von Nicaragua den Verlust von 17.000 Opfern und mehr als 3 Milliarden Dollar wirtschaftlicher Schäden zu beklagen. Die evangelische Kirche hat erkannt, daß der Frieden eine der Aufgaben ihrer Mission ist und Bestandteil ihres prophetischen Auftrages. Sie unterstützt die Initiativen zur friedlichen Lösung der bilateralen und multilateralen Probleme in der Region. Es ist notwendig, daß wir uns alle gemäß unseren Fähigkeiten bereit erklären, die Initiativen zu unterstützen, die eine Intervention der Vereinigten Staaten in unserem Land verhindern wollen. Wir bitten Gott im Gebet und die Generalversammlung der nicht-paktgebundenen Staaten eine solche Entscheidung zu verhindern.
Gerechtigkeit,Freiheit und Entwicklung.
Seit den 60er Jahren fordern die Völker der Dritten Welt die Einrichtung einer neuen internationalen Wirtschaftsordnung, die den Völkern und den Nationen der südlichen Hemisphäre Gerechtigkeit zuteil werden lät. Als die Kluft und die Ungleichheiten zwischen den industrialisierten Ländern des Nordens und den armen Ländern des Südens zunahm, in der sich eine wirtschaftliche Ungerechtigkeit und ein permanenter Zustand der Herrschaft, Unterdrückung und Armut ausdrückt, wurde die Dependenz-Theorie formuliert.
Die Auslandsschuld von Lateinamerika von 1986 beläuft sich auf 368 Milliarden Dollar. Und diese Schuld wächst Jahr für Jahr. Wenn ein Lateinamerikaner geboren wird, schuldet er bereits 1000 Dollar. Diese Schuld ist nicht bezahlbar. Die Diskussion über diese Schuld wird immer ernster und entschlossener geführt. Die Völker des Kontinents sind sich bewußt, was diese Schuld in politischen, wirtschaftlichen, sozialen und ethischen Begriffen bedeutet.
Ein struktureller Wandel der gegenwärtigen internationalen wirtschaftlich-politischen Ordnung ist notwendig. Das Verhältnis von Herrschaft und Abhängigkeit muß verändert werden. Von einer solchen gerechten Modifizierung hängt die Zukunft der Welt, die Zukunft Nicaraguas und Lateinamerikas ab.
Die Kirchen machten sich diese Forderung immer mehr zu eigen, indem sie den armen Völkern in diesem schwierigen Prozess halfen und sie begleiteten, denn es handelte sich darum, das Recht auf Leben und die Planung der Zukunft trotz aller Unsicherheiten zu verteidigen.
Wir wissen, daß Nicaragua eine Revolution erlebt, die die Macht in den Zentren der Weltherrschaft verändert hat. Nicaragua versucht, auf nationaler Ebene eine neue gerechtere Ordnung aufzubauen, die politische Freiheit beinhaltet und eine soziale Transformation durchzuführen, die die Widersprüche und die geschichtlichen Probleme des Volkes, trotz der Beschränkungen und Hindernisse, welche die Unterentwicklung und der US-Handelsboykott dem Prozeß auferlegen, löst. Wir meinen, daß die Erfolge dieser Revolution in den verschiedenen Bereichen der Entwicklung gerecht bewertet und beurteilt werden müssen. Es gibt sowohl eminent bedeutsame Erfolge, als auch schwere Fehler. Ernste geschichtliche Widersprüche wurden gelöst, andere haben sich verschärft. Die evangelische Kirche Nicaraguas, die 15 % der nationalen Bevölkerung repräsentiert, muß ihre Partizipation in der Gesamtheit des nationalen Lebens vertiefen, um effizient ihren Beitrag zum Transformationsproze und zum Wiederaufbau geben zu können, welcher ein langfristiger sein wird.
Diese Partizipation versucht kreativ, progressiv und kritisch zu sein: Attribute, die für ein Projekt der nationalen Emanzipation wie dem unseren grundlegend sind.
Auszugsweise Übersetzung aus: "Programa 1987-1988 del Centro Intereclesial de Estudios Teológicos y Sociales", hrsg.v. CIEETS, Managua, Nicaragua, November 1986.
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