Brief von Argentina, Oktober 1997

Lieber Uwe,
ich schreibe dir in großen Ängsten und Nöten



Du weißt, daß wir, als wir das Projekt der Schule gestartet haben, nicht einen einzigen Centavo hatten. Alles machten wir aus Vertrauen und Glauben, mit Lehrerinnen und Lehrern, die freiwillig mitarbeiten und ohne Lohn arbeiten. Die Kirche hat uns unterstützt, allerdings hauptsächlich moralisch, nicht so sehr materiell. Außerdem hatten wir die Unterstützung von Euch. Und dann die vielen Behördengänge, um die offizielle Anerkennung der Schule zu erreichen und die Schule zu legalisieren. All dies erreichten wir durch Solidarität, Unterstützung von Freunden wie Euch. Bspw. mit dem Geld, das ihr uns geschickt habt, konnten wir ein zweistöckiges Gebäude errichten mit 6 Klassenräumen, das jetzt praktisch fertiggestellt ist.
Das Problem jedoch, das mich so bedrückt, ist, daß wir uns eingestehen müssen, daß auf Dauer das Lehrpersonal nicht ohne jegliche finanzielle Unterstützung arbeiten wird. Das Ministerium zahlt in unserem Fall keinen Pfennig, da wir als Privatschule gelten.

Unsere Jungs und Mädchen kommen aus sehr armen Verhältnissen, und obwohl wir zu Beginn des Schuljahres die Eltern bitten, einen Unterstützungsbetrag für die Schule zu zahlen, haben nicht alle die Möglichkeit, dies auch zu zahlen.

In der gegenwärtigen Situation, die unser geliebtes Nicaragua durchlebt, ist die freiwillige und unbezahlte Arbeit wie ein Relikt aus früheren Zeiten. Die neoliberale Wirtschaftspolitik, die uns aufgezwungen wird, zerstört die Gemeinschaftsprojekte und die Solidarität untereinander, die Menschen werden individualisiert, jeder muß sehen wo er bleibt, er und seine Familie. Die gegenseitige Hilfe zählt nicht mehr. Und ich verstehe das auch. Sieh mal, unsere Lehrer, die haben Familie und brauchen etwas zu essen. So werden uns die Lehrer verlassen und andere Alternativen der Arbeit suchen, wo sie einen Lohn erhalten, der ihnen wirtschaftlich weiterhilft.

Aus diesem Grund haben wir zu Beginn dieses Schuljahres einen Betrag festgelegt, den jede Familie, die Schüler bei uns hat, zahlen muß, damit wir wenigsten ein bißchen Unterstützung an die Lehrer weitergeben können. Das Ergebnis war, daß einige Schüler nicht mehr kamen. Und wir haben verloren, denn wir wollten ja gerade eine Schule für die ganz Armen sein. Das hat mich sehr deprimiert. Wir gingen zu den Familien und machten, daß die Kinder wieder zur Schule kamen - auch ohne zu zahlen. Das Problem, wie unsere kleine Schule wirtschaftlich überleben soll, steht immer noch im Raum - ungelöst.

Das macht mich ziemlich fertig. Ich weiß mir keinen Rat. Es ist doch gerade unser Ziel gewesen, denjenigen eine Ausbildung zu geben, die vom Staat ausgeschlossen werden. Diejenigen, die die Gebühren an den staatlichen Schulen nicht zahlen können, die sollten bei uns Lesen und Schreiben und Rechnen lernen, eine menschenwürdige Erziehung erhalten. Wir wollen die Ausgeschlossenen einbeziehen, und nun glaube ich ist das Problem, daß wir selbst zu den Ausgeschlossenen zählen.

Ich fürchte, daß unser Projekt an Kraft verliert und wir nichts tun können. Wir haben an so viele Organisationen geschrieben, die auch Schulprojekte unterstützen. Die meisten sagen, daß sie keine Kapazitäten haben, andere unterstützen nur dann ,wenn man sich in ihre religiöse Struktur eingliedert (Missionsschulen), und das wollen wir auch nicht.

So schreibe ich dir also wieder einen Brief. Und auch das deprimiert mich wieder, weil wir fast nur noch über die Schule schreiben, und dann sind es immer nur noch Bittbriefe. Ja, ich bitte wieder um Eure Hilfe. Ihr seid die einzigen gewesen, die uns unterstützt haben und ihr kennt unsere Schule nun schon ganz gut. Und ihr wißt, daß wir es gut meinen.

Wir haben den Lehrern versprochen, daß sie im Dezember eine finanzielle Unterstützung erhalten. Und ich habe versprochen, daß ich von irgendwo irgendwelches Geld für sie auftreiben werde. Ich habe hier in Nicaragua an die Tür jeder Institution geklopft, die mir in den Sinn kam. Und ich bin immer abgewiesen worden. Ich werde meine Versprechungen nicht einlösen können. Außerdem gibt es soviele andere Dinge, die uns in der Schule fehlen. Wir haben kein Papier, keine Stifte, keine Möbel, keine Hefte, nichts für den Vorschulbereich, keine Medien. Alles was wir haben, wird am Ende des Jahres aufgebraucht sein, und noch wissen wir nicht, woher die Dinge für das neue Schuljahr besorgen. (Leider ist es wirklich so, daß ohne Geld einfach nichts funktioniert).

Ach, all diese vielen Worte nur um zu fragen: Könntet ihr uns vor Dezember eine kleine Hilfe zukommen lassen? Welche Möglichkeiten siehst du bei den Brüdern und Schwestern in Deutschland, uns zu helfen?
Ich schäme mich richtig, wegen dieser Bettelei, aber ich vertraue darauf, daß ihr es nicht falsch versteht und ich vertraue darauf, daß ihr immer gerne geholfen habt und eure Hilfe kein Almosen ist, sondern wohlverstandene Solidarität. Ihr wart in der ganzen Zeit diejenigen, von denen wir den Mut erhielten weiterzumachen. Wir haben immer gesagt: Doch, es gibt Menschen dort drüben in einem Land, das weit weg ist von unserem, die glauben an uns, die trauen uns zu, daß wir es schaffen, die vertrauen uns ihre Spenden und Kollekten an. Das hat uns oft aufrechterhalten, wenn wir kurz davor waren, alles hinzuschmeißen. Ihr habt uns kämpfen gelehrt.

Was meinst du, Uwe, kannst du deine Jugendlichen in der Gemeinde fragen, die uns ihre Konfirmationsspende schickten, oder die Kinder aus dem Kindergottesdienst, oder den Kirchenvorstand, oder die Frauen, die für uns Kaffee und Kuchen verkauften? Was meint Jutta dazu? Ich brauche bald eine Antwort. Könnt ihr uns helfen?

Ja so ist es, Uwe, ich brauche euch, oder besser wir brauchen euch. Ihr seid Miteigentümer dieser Schule. Ihr wart unser rechter Arm in all der Zeit. Ihr wart Mutter und Vater unserer großen Schulfamilie. Deshalb dieser Brief. Verlaßt uns nicht.
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Ich schicke noch ein paar Briefchen mit von Schülern und Lehrern der Schule.
Liebe Grüße
Argentina


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